Pressemitteilung
29.11.2023

Rauschen - Informationsquelle statt Ärgernis

Forschende der Universität Konstanz entdecken eine neue Art ultraschnellen magnetischen Schaltens, indem sie Fluktuationen untersuchen, die als Rauschen in Experimenten normalerweise eher stören.

Das Rauschen im Radio bei schlechtem Empfang ist ein typisches Beispiel, wie Fluktuationen ein physikalisches Signal überdecken.Tatsächlich findet man bei jeder physikalischen Messung zusätzlich zu dem eigentlichen Signal solche Störungen bzw. Rauschen. „Selbst an der einsamsten Stelle des Universums, wo es eigentlich gar nichts geben sollte, gibt es immer noch Fluktuationen des elektromagnetischen Felds“, sagt der Physiker Ulrich Nowak. Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1432 „Fluktuationen und Nichtlinearitäten in klassischer und Quantenmaterie jenseits des Gleichgewichts“ an der Universität Konstanz versteht dieses allgegenwärtige Rauschen allerdings nicht als Störfaktor, den es möglichst auszuschalten gilt, sondern als Informationsquelle, die etwas über das Signal aussagt.

Keine magnetische Wirkung, aber Fluktuationen
Dieser Ansatz hat sich nun bei der Untersuchung von Antiferromagneten bewährt. Antiferromagnete sind magnetische Materialien, bei denen sich die Magnetisierung mehrerer sogenannter Untergitter gegenseitig aufhebt. Dennoch gelten antiferromagnetische Isolatoren als vielversprechend für energiesparende Bauelemente im Bereich der Informationstechnologie. Da sie jedoch nach außen hin kaum Magnetfelder aufweisen, sind sie physikalisch sehr schwer zu charakterisieren. Nichtsdestotrotz sind Antiferromagnete von Fluktuationen umgeben – die einiges über das schwach magnetische Material aussagen.

Auf dieser Grundlage analysierten die Gruppen der beiden Materialwissenschaftler Ulrich Nowak und Sebastian Gönnenwein im Rahmen des SFB die Fluktuationen von antiferromagnetischen Materialien. Entscheidend in ihrer sowohl theoretischen als auch experimentellen Studie, die aktuell im Journal Nature Communications erschienen ist, war der spezielle Frequenzbereich. „Wir messen sehr schnelle Fluktuationen und haben eine Methode entwickelt, mit der auf der ultrakurzen Zeitskala der Femtosekunden noch Fluktuationen nachweisbar sind“, sagt der Experimentalphysiker Sebastian Gönnenwein. Eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde.

Neuer experimenteller Ansatz für ultraschnelle Zeitskalen
Auf langsameren Zeitskalen käme Elektronik zum Einsatz, die schnell genug ist, um die Fluktuationen zu messen. Bei ultraschnellen Zeitskalen funktionieren diese Konzepte nicht mehr, weshalb ein neuer experimenteller Ansatz entwickelt werden musste. Er geht auf eine Idee der Arbeitsgruppe von Alfred Leitenstorfer zurück, der ebenfalls Mitglied des Sonderforschungsbereichs ist, und nutzt mittels Lasertechnik Pulssequenzen oder Pulspaare, um Informationen über Fluktuationen zu erhalten. Dieser Messansatz wurde zur Untersuchung von Quantenfluktuationen entwickelt, jetzt aber auf Fluktuation von magnetischen Systemen erweitert. Maßgeblich beteiligt war hier Takayuki Kurihara von der Universität Tokio als dritter Kooperationspartner, der von 2018 bis 2020 Mitglied der Arbeitsgruppe Leitenstorfer und des Zukunftskollegs der Universität Konstanz war.

Nachweis von Fluktuationen durch ultrakurze Lichtimpulse
Das Experiment besteht darin, zwei ultrakurze Lichtimpulse zeitverzögert durch den Magneten zu leiten, wodurch die jeweiligen momentanen magnetischen Eigenschaften mit den Lichtimpulsen abgefragt werden. Anschließend werden die Lichtimpulse mithilfe einer ausgefeilter Elektronik auf ihre Ähnlichkeit überprüft. Der erste Impuls dient dabei als Referenz, der zweite beinhaltet Informationen darüber, wie stark sich der Antiferromagnet in der Zeit zwischen erstem und zweitem Impuls verändert hat. Unterschiedliche Messergebnisse zu den beiden Zeitpunkten belegen die Fluktuationen. Um das Ergebnis des Experiments besser zu verstehen, wurde es zusätzlich in der Arbeitsgruppe von Ulrich Nowak in aufwändigen Computersimulationen modelliert.

Ein unerwartetes Ergebnis war die Entdeckung des sogenannten Telegrafenrauschens auf ultrakurzen Zeitskalen. Es gibt demnach nicht nur unsortiertes Rauschen, sondern auch Fluktuationen, bei denen das System zwischen zwei wohldefinierten Zuständen hin- und herspringt. So schnelles, rein zufälliges Schalten wurde zuvor noch nie beobachtet und könnte für Anwendungen wie zum Beispiel Zufallsgeneratoren interessant sein. Auf jeden Fall aber bieten die neuartigen methodischen Möglichkeiten zur Analyse von Fluktuationen auf ultrakurzen Zeitskalen viel Potenzial für weitere Entdeckungen im Bereich funktionaler Materialien.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: M. A. Weiss, A. Herbst, J. Schlegel, T. Dannegger, M. Evers, A. Donges, M. Nakajima, A. Leitenstorfer, S. T. B. Goennenwein, U. Nowak & T. Kurihara: Discovery of ultrafast spontaneous spin switching in an antiferromagnet by femtosecond noise correlation spectroscopy. Nat Commun 14, 7651 (2023). https://www.nature.com/articles/s41467-023-43318-8
  • Forschende der Universität Konstanz entdecken eine neue Art magnetischen Schaltens, indem sie Fluktuationen betrachten
  • Kooperationsprojekt der Materialwissenschaftler Prof. Dr. Alfred Leitenstorfer, Prof. Dr. Ulrich Nowak und Prof. Dr. Sebastian Gönnenwein der Universität Konstanz, Associate Professor Makoto Nakajima von der Universität Osaka sowie Dr. Takayuki Kurihara von der Universität Tokio
  • Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 1432 gefördert.

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

- uni.kn


Pressemitteilung
11.09.2023

Mit magnetischen Wirbeln zu energiesparenden Computern

Eine internationale Forschungskooperation mit Beteiligung der Universität Konstanz konnte die Diffusion von Skyrmionen auf das Zehnfache steigern.

Ohne Computer ist unser heutiges Leben nicht denkbar. Bis dato verarbeiten diese die Informationen über Ladungsträger, die Elektronen – wobei die Komponenten sich jedoch stark erhitzen. Es ist also eine aktive Kühlung nötig, was mit einem großen Energieaufwand einhergeht. Die Spintronik soll dieses Problem lösen: Statt die Elektronen selbst für die Informationsverarbeitung zu nutzen, setzt man dabei auf deren Spin, also ihren Eigendrehimpuls. Auch auf die Größe, die Geschwindigkeit und die Nachhaltigkeit von Computern soll sich dieser Schritt positiv auswirken.

Magnetische Wirbel speichern und verarbeiten Informationen
Vielfach betrachtet man dabei nicht einfach den Spin eines einzelnen Elektrons, sondern magnetische Wirbel aus zahlreichen Spins. Diese Wirbel treten in magnetischen metallischen Dünnschichten auf und werden Skyrmionen genannt, die quasi als zweidimensionale Teilchen betrachtet werden können. Die Wirbel lassen sich zum einen zielgerichtet bewegen, indem elektrischer Strom an die dünnen Schichten angelegt wird, zum anderen bewegen sie sich zufällig und äußerst energiesparend aufgrund von Diffusion. Dass sich auf Basis von Skyrmionen ein funktionsfähiger Computer realisieren lässt, konnten Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz rund um Mathias Kläui bereits anhand eines ersten Prototyps zeigen. Die Basis bildeten dünne, übereinanderliegende Schichten, teilweise nur wenige Atomlagen dick.

Energieeffizienz: Diffusion der Wirbel auf das zehnfache gesteigert
Wie in der aktuellen Ausgabe von Nature Communications nachzulesen ist, ist der Forschungskooperation der Universität Konstanz, der Johannes Gutenberg-Universität und der japanischen Tohoku University ein weiterer Schritt hin zu spinbasiertem, nicht-konventionellem Computing geglückt: Sie konnten die Diffusion der Skyrmionen durch synthetische Antiferromagneten auf das etwa Zehnfache steigern – und damit den Energieverbrauch eines solchen potenziellen Computers drastisch senken. „Die Senkung des Energieverbrauchs elektronischer Bauelement ist eine der größten Herausforderungen der Grundlagenforschung“, sagt der Physiker Ulrich Nowak, der den Theorieteil des Projekts in Konstanz geleitet hat.

Was ist ein Antiferromagnet?
Normale Ferromagnete bestehen aus vielen kleinen Spins, die gekoppelt alle in die gleiche Richtung zeigen und damit ein großes magnetisches Moment bilden. In Antiferromagneten zeigt die eine Hälfte der Spins in die eine und die andere Hälfte der Spins genau in die entgegengesetzte Richtung. Es entsteht also kein netto magnetisches Moment, obwohl die Spins weiterhin gut (antiferromagnetisch) geordnet sind. Antiferromagnete haben große Vorteile, wie eine tausendfach schnellere Dynamik z. B. zum Schalten, bessere Stabilität und mögliche höhere Speicherdichten.

Wofür sind Antiferromagnete hier nützlich?
Bewegen sich die Skyrmionen sehr schnell, tritt in ferromagnetischen Schichten senkrecht zur Bewegungsrichtung eine weitere Kraftkomponente auf, die die Wirbel aus der Bahn drückt. Sie krachen also gegen die Wand, bleiben stecken und blockieren den Weg für die anderen, bei hohen Geschwindigkeiten können sie sogar zerstört werden. Theoretisch wurde jedoch vorhergesagt, dass dieser Effekt in Antiferromagneten nicht oder nur in sehr geringem Maße auftritt.

Um einen solchen Antiferromagneten herzustellen, haben die Forschenden zwei ihrer ferromagnetischen Schichten so miteinander gekoppelt, dass die Magnetisierung in den beiden Schichten genau entgegengesetzt ausgerichtet ist und sich ihre Magnetfelder gegenseitig aufheben. Damit reduzieren sie die Kraft, die die Wirbel aus ihrer Bahn drückt.

Stochastisches Computing
Damit wurde ein synthetischer Antiferromagnet geschaffen, in dem die Diffusion der Skyrmionen etwa zehnmal höher ist als in den einzelnen Schichten. Diese Diffusion lässt sich nutzen, um etwa stochastisches Computing zu realisieren – eine Form des Computing, in dem stochastische Prozesse wie die zufällige Bewegung von Teilchen genutzt werden.  

Die Rolle von Fluktuation für die Bewegung der Skyrmionen wird in Konstanz im Rahmen des SFB1432 untersucht. Die Zusammenhänge sind komplex, und nur mit Hilfe von Computersimulationen ist es möglich, die verschiedenen auftretenden Effekte voneinander zu trennen und damit zu verstehen. 

Faktenübersicht

  • Originalpublikation T. Dohi et al., Enhanced thermally-activated skyrmion diffusion with tunable effective gyrotropic force, Nature Communications, 11. September 2023, DOI: 10.1038/s41467-023-40720-0
  • Forschungskooperation der Universität Konstanz, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der japanischen Tohoku University konnte die Diffusion der Skyrmionen durch synthetische Antiferromagneten auf das etwa Zehnfache steigern und damit den Energieverbrauch eines Spin-basierten nicht-konventionellen Computing drastisch senken
  • Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Fluktuationen und Nichtlinearitäten in klassischer und Quantenmaterie jenseits des Gleichgewichts“ (SFB1432) der Universität Konstanz, des SFB „Spin+X“ (SFB/TRR 173) der Rheinland-Pfälzischen Universität Kaiserslautern-Landau und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie durch das Schwerpunktprogramm SPP 2137: „Skyrmionics: Topologische Spin-Phänomene im Realraum für Anwendungen“.

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

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Pressemitteilung
02.02.2022

Das Rätsel um den „verschwundenen“ Drehimpuls

Einem Konstanzer Forschungsteam gelingt die Lösung eines jahrzehntealten physikalischen Rätsels: der Frage nach dem Verbleib des Drehimpulses bei der ultraschnellen Entmagnetisierung von Nickelkristallen durch Laserlicht.

Die Lösung dieses Rätsels wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. In der Studie untersuchte ein Team unter Konstanzer Führung die Entmagnetisierung von Nickelkristallen mithilfe der ultraschnellen Elektronenbeugung – einem zeitlich und räumlich hochpräzisen...

S. R. Tauchert, M. Volkov, D. Ehberger, D. Kazenwadel, M. Evers, H. Lange, A. Donges, A. Book, W. Kreuzpaintner, U. Nowak, P. Baum:
Polarized phonons carry angular momentum in ultrafast demagnetization,
Nature 602, 73–77 (2022)

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